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"Vermissunganfall"

Datum:
22. März 2025
Von:
Maike Roeber

Diese Wochen vor Ostern sind, so finde ich, immer irgendwie besonders.  

Der Winter nimmt langsam seinen Hut. Der beginnende Frühling lässt sich spüren. Die erste Sonne wärmt. Auf manche ungute Gewohnheiten lässt sich verzichten, und sich bewusst zu machen, was einem wirklich wichtig ist im Leben, das passt in diese Zeit des Übergangs... Für mich gehört dazu aber auch das Vermissen. Merke ich doch gerade jetzt auch wieder, wie sehr ich zum Beispiel den Frühling, und vor allem den Sommer vermisst habe. 

Ganz besonders aber vermisse ich die Sommer meiner Kindheit, diese ganz eigenen, hellen und flirrenden Sonnenwochen, in denen ich Blaubeeren mit meiner Großmutter im Wald gesammelt habe und mich im hochgewachsenen Gras der ungemähten Wiesen verstecken konnte. Ich vermisse die Zeiten, in denen ich nicht jeden Tag mit Nachrichten über Krieg und Gewalt und Terror konfrontiert war.… Ich vermisse diese Sommer, in denen die Welt vielleicht insgesamt keine bessere war, für mich aber noch absolut in Ordnung schien. – Vermissen gehört zum Leben dazu. 

Meine Tochter hat das einmal sehr gut auf den Punkt gebracht. „Ich habe einen akuten Vermissungsanfall“, hat sie gesagt, und nicht nur heute geht mir das auch so.  

Wenn ich außer den Sommern meiner Kindheit zum Beispiel einen Menschen vermisse, dann ist das zu allererst auch schmerzhaft. Und gleichzeitig wird mir durch das Vermissen manchmal erst bewusst, wer oder was mir wichtig ist. Wer und was mir am Herzen liegt. Was mich und mein Leben ausmacht. – Vermutlich ist es doch so: Wir werden immer wieder etwas und jemanden vermissen. Denn das Leben und unsere Welt sind selten komplett, und perfekt schon mal gar nicht.  

Die Bibel erzählt davon, dass Gott „Ewigkeit in unsere Herzen gelegt hat“ (Prediger 3,11). Und damit eine Sehnsucht angestiftet hat, die nur schwer zu stillen ist. Weil um mich herum und in mir drin ganz wenig ewig ist. Hier und jetzt ist alles im Fluss, das Leben verändert sich und vergeht. Die Sommer von früher sind weg, und ich inzwischen – egal wie sehr ich es mir manchmal zurückwünsche – mit den kleinen und großen Krisen der Welt konfrontiert. Aber gleichzeitig ist in der Bibel auch davon die Rede, dass Gott uns „nicht den Geist der Furcht, sondern der Kraft, Liebe und Besonnenheit“ gegeben hat. (2. Timotheus 1,7) Er hat uns also sozusagen ausgerüstet, um dieser Sehnsucht und allem Vermissen begegnen zu können. Um mit Kraft und Liebe und der manchmal nötigen Besonnenheit Vermissungsanfälle dann vielleicht auch so nehmen zu können – nämlich als spürbaren Hinweis darauf, wer oder was uns von Herzen wichtig ist. Ohne daran zu verzweifeln.  

Hin und wieder einen „akuten Vermissungsanfall“ – den will ich also nicht mehr missen! Weil er mir auch zeigt, was und wie viel mir in meinem Leben wichtig ist. 

 

Pfarrerin Maike Roeber, Trier