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Karneval

Datum:
18. Feb. 2023
Von:
Mathieu Valet

Karneval, Fastnacht oder Fasching, so wie wir es auch heute noch feiern, folgt einer einfachen Logik: Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden umgedreht: Der Obermessdiener liest dem Bischof die Leviten, die Putzfrau der Parteivorsitzenden und die Jungfrau trägt Dreitagebart. Schade, dass dabei nicht alle mitmachen. Ist eigentlich Karneval auch ein russischer Brauch? Wie schön wäre es, neben preußischen Gardeuniformen auch russische Paradeuniformen auf den Bühnen tanzen zu sehen. Da der Stechschritt im russischen Militär auch heute noch zum Einsatz kommt, sollte dem russischen Soldaten die Umstellung auf den Gardetanz nicht allzu schwer fallen – der Soldat streckte seinem Antreiber nicht nur die Zunge sondern auch das Tanzbein entgegen... Eine karnevalistische Ader scheinen hingegen die Chinesen zu haben: Statt der erwarteten 99 Luftballons schicken sie lediglich einen. 

Manchmal würde man sich bei dieser Rollenumkehr vielleicht eine größere Konsequenz wünschen. Kürzlich hat es beispielsweise eine böse Königin in Aachen geschafft, völlig ohne Verkleidung und Humor „von Kopf bis Fuß ganz formidabel, ohne Zweifel ministrabel“, auf eine Karnevalsbühne gelassen zu werden. Auch sonst gäbe es sicher viele Bereiche im gesellschaftlichen Leben, in denen sich der Tausch lohnen würde. Was gäbe es wohl zu lachen, wenn Flüchtlinge uns einmal sagen würden, was sie für eine gelungene Integration brauchen; wenn Auszubildende der Wirtschaft auf großer Bühne ihre Vorstellung von einem gesunden Arbeitsmarkt darlegen; wenn Obdachlose vor ihrem Stadtrat ihre Idee von einem gelungenen Leben vortragen. Zu lachen? Vielleicht auch zu weinen. 

Die Macht der Mächtigen nimmt zu, die Macht der Machtlosen nimmt ab. Das ist die Logik der Macht, die an Karneval durchbrochen wird. Die Mächtigen werden vom Thron gestürzt und die Niedrigen erhöht. Gut, dass für den Christen die Session nur der Auftakt ist. Denn ab nächstem Mittwoch wird es (vor allem für Katholiken) ernst. 40 Tage verzichten, um das scheinbar wichtige in den Hintergrund treten zu lassen und dem zu oft Beiseitegeschobenen seinen wahren Platz zu geben. 

Leider stehen wir Katholiken nun nicht gerade in dem Ruf, besonders gut darin zu sein, Machtlose zu bemächtigen und Mächtige zum Machtverzicht zu bewegen. Schade, dabei haben wir doch den Karneval erfunden.

Mathieu Valet, Diakon der Pfarrei St. Anna im Wittlicher Tal