Ist Gott lieb?
In diesen Tagen wird an den 85 Jahrestag des Hitler–Stalin-Pakt gedacht. Mit dem historischen Seminar Bonn besuchten wir als Studenten das Archiv des Auswärtigen Amtes besucht. Der Archivar zeigte uns u.a. die Landkarte, auf der die beiden Außenminister Rippentrop und Molotow mit einem dicken Strich die Interessensphären abgrenzten. Heute noch erschaudert mich die Erinnerung an diesen Anblick. Welche unzähligen Schicksale wurden da von zwei skrupellosen Staatsmännern mit einem Federstrich entschieden – mit Auswirkungen bis heute, z.B. den Ukrainekrieg. Wo war da der liebe Gott? Wo ist er bei den vielen aktuellen Kriegen, Naturkatastrophen und persönlichen Schicksalen? Auf der anderen Seite bin ich voll Dankbarkeit, wenn ich an mein jetzt 80jähriges Leben denke. Beinahe wäre es mit 3 Monaten schon zu Ende gewesen, wenn meine Eltern nicht den Mut gehabt hätten bei dem verheerenden Luftangriff auf meine Geburtsstadt uns Kinder durch die brennenden Trümmer aus der Stadt zu tragen. Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes (Theodizee) stellt sich permanent. Da erscheint es mir oft zu vorschnell, dass vom lieben Gott gesprochen wird. Viele Gebete und liturgischen Texte kann ich nur mit Vorbehalt sprechen. In und von den Kirchen wird im Sprachgebrauch häufig zu undifferenziert von der Liebe, Fürsorge etc. Gottes gesprochen. Vielleicht brauchen wir eine ganz neue Sprache, fern der frommen Floskel und theologischen Gestelztheit. Der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn schlägt eine aphoristische Theologie vor, kurz und knapp, zum Beispiel so: Gott ist Luft für dich? - Bitte tief einatmen!
Wenn ich einmal Gott unmittelbar begegne, was ich sehnlichst hoffe, habe ich viele Fragen an ihn.
Wolfram Viertelhaus, Wittlich