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Den anderen lernen

Datum:
2. Nov. 2024
Von:
Monika Bauer-Stutz

Manchmal klingt ein Gespräch, ein Buch, ein Film noch lange nach und neue Zusammenhänge erschließen sich. So geht es mir mit einer Predigt, die ich vor einiger Zeit gehört habe.

In den Schrifttexten ging es um Menschen, die, obwohl es nach der damaligen Vorstellung nicht möglich war, von Gottes Geist erfüllt wurden. Im Buch Numeri empfangen zwei Männer Gottes Geist, obwohl sie sich nicht am Ort der Gegenwart Gottes aufhalten (Num 11,25-29). Das Markus-Evangelium erzählt von einem Mann, der im Namen Jesu Gutes tut, obwohl er nicht zu den Jüngern gehört (Mk 9,38 ff). In beiden Fällen sind die „Insider“ irritiert und fragen nach: Josua bei Mose und der Apostel Johannes bei Jesus. Mose und Jesus sind souverän: Es ist gut, wenn sich Gottes Geist zeigt, und wenn Gutes getan wird. 

Biblische Texte erzählen immer wieder davon, dass sich Gott nicht vorschreiben lässt, wann, wo, wie, an wem oder durch wen er wirkt. Gott lässt sich nicht begrenzen und ist unverfügbar. Offenbar braucht er weder besondere Räume für seine Gegenwart und sein Wirken und findet sogar in „Outsidern“ Botschafter und Botschafterinnen.

Genau das zeigen auch viele Seligen- und Heiligen-Biografien. Oft waren diese Menschen zu ihren Lebzeiten „Outsider“, unverstanden, unorthodox, unbequem, kirchen- und staatskritisch: Franziskus, Hildegard von Bingen, Teresa von Avila, Nikolaus Groß, Mutter Rosa. Erst im zeitlichen Abstand hat man erkannt, dass sie aus einem tiefen inneren christlichen Antrieb gehandelt haben.

Es mag befremden oder gar beängstigen, dass sich unser Gott auch dort wirkmächtig zeigt, wo wir es für unmöglich halten. Hinterfragt es doch Glaubensvollzüge und fordert Antworten auf die Fragen, wie christliches Leben und Glaubensweitergabe heute aussehen können.  

Bischof Hemmerle (1929-1994) warb dafür: Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.

Monika Bauer-Stutz